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Ich lese gerade...

Dieses Thema im Forum "Small Talk" wurde erstellt von Rocko2, 4. Oktober 2004.

  1. sag mal (per pn) bist dus oder bist dus nicht :rolleyes: :D
     
  2. Singer

    Singer Active Member

    Karl Philipp Moritz: Anton Reiser. Ein psychologischer Roman.

    Drucklegung 1785. Und dann dieser Untertitel.

    Die Erzählung - sehr umfangreich, ein dickes Reclam-Bändchen im vorliegenden Fall - handelt von den ersten zwanzig Lebensjahren des Anton Reiser und davon, auf welche Weise in seiner Kindheit und Schulzeit die Keime für des Protagonisten völlig unterentwickeltes Selbstwertgefühl gelegt werden und durch welche Erlebnisse diese Saat unglücklich aufgeht und befördert wird sowie welche Mißverständnisse und Sehnsüchte (einmal beklatscht werden auf der Theaterbühne) durch das verursachte Minderwertigkeitsgefühl entstehen. Erschwerend kommt hinzu, daß Reiser talentiert, aber nicht genial ist. Es steckt sehr viel Autobiographisches in Moritz' Roman.

    Ich finde die Lektüre teilweise gradezu spannend, da Moritz sehr klarsichtig beschreibt, welch weittragenden Auswirkungen kleine Verletzungen haben und wie bei entsprechender Disposition scheinbare Lappalien zu Schlüsselerlebnissen werden können, an denen der Mensch dann jahre- oder gar lebenslang sein Päckchen zu tragen hat.

    Wie oben schon geschrieben: Dieser Untertitel! Und das in den 1780er Jahren!

    Man erfährt viel über "Sitten und Gebräuche" und die literarischen "Bestseller" im 18. Jahrhundert - u.a. über die "Werther"-Rezeption -, sodaß die Erzählung auch ein interessantes Zeitzeugnis darstellt - falls man sich denn für diese Zeit interessiert.
     
  3. danilatore

    danilatore Moderatore Mitarbeiter

  4. macuta

    macuta New Member

    Wieder so ein Tipp meiner Nichten und Neffen: Die Bartimäus-Trilogie von Jonathan Stroud
    Dämonen, von Zauberern versklavt, eine Widerstandsbewegung der Normalmenschen, bin mitten im ersten Band und völlig begeistert.
    http://www.randomhouse.de/dynamicspecials/bartimaeus/buecher.html
    Die englische Hörbüchfassung gibt's bei audible.com und - wie so oft - bin ich an den iPod gefesselt.
     
  5. Singer

    Singer Active Member

    William Gibson: Mustererkennung.

    Die Geschichte ist ausschließlich aus der Persepektive der Protagonistin Cayce Pollard erzählt, aber keine Ich-Erzählung. Cayce ist freischaffende cool-hunterin. Sie hat das besondere Talent, Trends aufzuspüren, bevor sie zu solchen werden, und deshalb ist ihr Rat für Marketing-Abteilungen von Modefirmen u. ä. besonders wertvoll. Für sie selbst ist ihre Sensibilität in Bezug auf Mode, looks und Marken aber eher eine Last, die sie als Allergie bezeichnet.
    Sie postet häufig in einem Internet-Forum, in dem es um die rätselhafte Herkunft und die Bedeutung von anonym im Netz verbreiteten kurzen Video-Clips geht. Diese Clips haben eine weltweite underground-Fangemeinde gewonnen, und es ist abzusehen, daß sie aus diesem Grunde nicht mehr lange underground und nur insidern bekannt, sondern bald hip sein werden. Dieser Umstand macht sie bzw. die unbekannten Macher und Verbreiter der Clips für einen von Cayce' Auftraggebern interessant, und Cayce begibt sich auf die systematische Suche nach dem Ursprung der Clips - was sie in grundverschiedene Zivilisationen mit jeweils eigenen Riten, Moden und Gebräuchen führt.
    Die Geschichte ist der Bezeichnung nach ein Thriller und tatsächlich permanent latent spannend. Lange, lange weiß der Leser nicht recht, wohin sie wohl führen wird. Die Auflösung des gesamten plots fand ich nur halbwegs einleuchtend und nur wenig pointiert, sondern eher bemüht-gesucht. Letzteres gilt auch für das Einbetten des 11. Septembers 2001 in die Handlung.
    Es zieht sich eine sarkastische oder zynische Note durch die Erzählung, die von Cayce' abwehrender Haltung Markenprodukten gegenüber herrührt, was mich sehr amüsierte. Als Mac-user kommt man übrigens auch auf seine Kosten…
    Neben den quasi anonymen Beziehungen im schon erwähnten Forum, die sich der Natur der Sache gemäß nur von posting zu posting entwickeln, gibt es interessante Schilderungen von Beziehungen von Mensch zu Mensch, in denen das Instinkthafte skizziert wird - diese Gegenüberstellung hat mir gut gefallen. Letztlich bleibt bei mir aber trotz der geschilderten Ängste und Traumata ein Eindruck von Oberflächlichkeit haften - vieleicht deshalb, weil ich sie so wenig nachvollziehen kann. Das mag anderen Lesern anders ergehen. Durch seine Bezüge zu den verschiedenen relativ neuen Kommunikationsformen im Internet und den Marken und Produkten ist die Erzählung recht aktuell; ob man das in zehn Jahren langweilig findet? Wahrscheinlich weiß schon heutzutage kaum noch jemand, was ein G4 Cube ist. Ich fand's jedenfalls, wie schon gesagt, recht spannend und hab's gern gelesen.
     
  6. Valou

    Valou New Member

    Ich lese gerade 'Der Flammengott von Angus Wells'
     
  7. benqt

    benqt New Member

    "Die Wicherts von nebenan" von Justus Pfaue, aus reinem Masochismus. Ein grausliger Scheissdreck.
     
  8. maceddy

    maceddy New Member

    Meinen Kontoauszug, ist auch grausig.

    maceddy
     
  9. macuta

    macuta New Member

    marisha pessl
    Special topics in calamity physics

    Der Titel könnte nach schwerer Kost klingen, aber der Grundton ist so locker und gleichzeitig sind Buch- und Bildungselemente so luftig eingestreut, dass - zumindest das erste Kapitel - ein reines Vergnügen war.
     
  10. batrat

    batrat Wolpertinger

  11. macuta

    macuta New Member

    "Persepolis" von Marjane Satrapi. Ich weiß nicht, ob es mir je bei einer gezeichneten Geschichte so gegangen ist, dass es mir schwer fiel, zwischendurch das Buch wegzulegen. (Geschichte eines im vor-Chomeini-Iran geborenen Mädchens, das zunächst den Kopftuchterror erleben musste und später nach Europa auswanderte) Den Film möchte ich auch möglichst bald sehen.
    Uta
     
  12. Solaign

    Solaign New Member

    "Die Frau im Mond" von Milena Agus

    Milena Agus erzählt von einer außergewöhnlichen Frau auf Sardinien, die sich mit Leib und Seele ihrem Traum verschreibt.Mit dreißig Jahren gilt eine unverheiratete Frau auf Sardinien längst nicht mehr als gute Partie. Die schöne Bauerntochter versteht nicht, warum ihre zahlreichen Bewerber immer so plötzlich Reißaus nehmen. Ihre Familie hält die gefühlvolle junge Frau für verrückt, eine Schande für das Haus. Im Jahr 1943 naht die Rettung in Gestalt eines besitzlosen Witwers aus Cagliari, der sich zu einer Vernunftheirat bereit erklärt. Die Eheleute schwören jedoch, sich im Bett niemals anzurühren. So muss die sehnsüchtige Frau noch einige Jahre auf die große Liebe warten - bis zu einer Thermalkur auf dem italienischen Festland ...
     
  13. Celtic

    Celtic New Member

    Heinrich VIII
     
  14. batrat

    batrat Wolpertinger

    ..einen Klassiker "Die Blechtrommel" von Günther Grass.

    Nicht ganz einfach zu lesen, da lange Sätze mit vielen Nebensätzen, aber geniale Geschichte und viel besser als der Film. :nicken:
     
  15. macuta

    macuta New Member

    Dombey & Son von Charles Dickens
    Eines seiner weniger bekannten Werke, aber wenn auch ab und zu die Heldin ein wenig zu makellos-sentimental wirkt, so sind doch Dickens' Beschreibungen der Eitelkeiten und kleinen Listen höchst amüsant.
     
  16. Solaign

    Solaign New Member

  17. Singer

    Singer Active Member

    Anna Seghers: Die Rettung

    Dieser Roman ist eines der bemerkenswertesten Bücher, die mir je untergekommen sind.

    Im Mittelpunkt der Erzählung steht Bentsch, ein Grubenarbeiter, der aufgrund seiner Besonnenheit von seinen Kumpeln sehr hoch geschätzt wird. Sein Wort wird gehört, sein Rat wird gesucht, seine Küche ist der Treffpunkt nach Feierabend. Aufgrund seiner Besonnenheit jedoch weigert er sich auch, sich politisch zu betätigen oder gar einer Partei beizutreten, was ihm von verschiedener Seite angetragen wird: So jemand wie ihn hätte man gerne in den eigenen Reihen. Seine Weigerung bringt ihm Kritik und Sympathieverlust ein. Mit der Stillegung der Gruben und der um sich greifenden Massenarbeitslosigkeit geht eine Zermürbung der Menschen einher, und schleichend gewinnen die Nazis Einfluß und Mitglieder. Hitler kommt zweidrei Mal in der Erzählung vor: Beim ersten Mal wird ein Photo von ihm wahrgenommen, er aber nicht als Hitler erkannt, weil man ihn zu der entsprechenden Zeit einfach noch nicht kennt. Gegen Ende des Buches denken einige: Vielleicht schafft er es ja, die Verhältnisse zum Besseren zu wenden. Er ist vom Niemand zum Hoffnungsträger geworden.

    Die Erzählung - das Buch ist in der Taschenbuchausgabe 327 Seiten stark - hat aber ihren Schwerpunkt nicht in der Schilderung der politischen Entwicklung hin zum Reichstagsbrand und darüber hinaus, sondern bei der Schilderung der Befindlichkeiten seiner Figuren. Und die Momente waren zahlreich, in denen ich staunte, wie weit Anna Seghers gehen kann, mit wieviel „Einfühlungsvermögen“ sie es versteht, vage, unkonkrete Zustände zu beschreiben, aber auch kurze und prägende Momente und nachhaltige Eindrücke nebst ihren weitreichenden Folgen zu beleuchten. Das berührte mich etliche Male tief, und in solchen Momenten habe ich das Buch beiseite gelegt, weil ich diese Abgründe, Schicksale, Sehnsüchte, Traumata und dergleichen erst einmal verarbeiten mußte, mit denen ich da unvorbereitet, knapp, kühl konfrontiert wurde.

    Ich habe mir sehr viel Zeit mit diesem Buch gelassen und es über einige Wochen hinweg immer wieder zur Hand genommen, was auch damit zusammenhängt, daß es mich auf eine Weise gefordert hat, die mir ein Durchlesen „in einem Rutsch“ unmöglich machte: Ich brauchte zwischendrin Pausen. Es ist ein Schwergewicht, an dem ich in mehrfacher Hinsicht zu arbeiten hatte: Zunächst fiel mir einfach das Lesen selbst schwer. Die Sätze sind teilweise unvollständig; die Figuren sprechen in ihrer Sprache, und das ist die der Bergarbeiter der späten Zwanziger und frühen Dreißiger Jahre: Unpräzise, unartikuliert, andeutungsweise, sodaß ich manchesmal nicht wußte: Was wird hier eigentlich gesagt? Welcher Standpunkt wird hier vertreten? Welches Gefühl wird beschrieben, was meint die Figur, wie geht es ihr eigentlich?
    Auf der anderen Seite: Die Erzählinstanz. Die Perspektive wechselt häufig; meist ist sie die einer der Figuren; ganz selten ist sie übergeordnet. Alle paar Seiten werden dem Leser Umstände, Begegnungen, Befindlichkeiten und Gedankengänge der Figuren mitgeteilt; in nur einem Satz oder auch nur in einem Nebensatz erfährt man von Umständen von größter Tragweite, aus denen man einen kompletten eigenständigen Roman entwickeln könnte. Auf diese Weise bekommen selbst Randfiguren, die nur ein oder zwei Mal im Roman auftauchen, eine Tiefe, die in anderen Erzählungen nur Hauptfiguren zugestanden wird. Dadurch wird, da der Roman an Figuren reich ist, der Leser mit einer besonders großen, vielfältigen Welt konfrontiert - und das, obwohl die Geschichte in engen Kreisen handelt: In denen der Bergleute eben, zu denen der eingangs erwähnte Bentsch gehört. Und diese Kreise sind eng in mehrfacher Hinsicht: Die Arbeit unter Tage schweißt zusammen, und die Familien und Gruppen leben in engen und armen Verhältnissen. In der Not rückt man noch enger zusammen, und Rückzugsmöglichkeiten für intime Dinge gibt es kaum - im Sommer wenigstens noch im Wald - oder gar nicht: Da muß auch schon mal ein Bursche in der vollen Stube, vor aller Augen, um die erwünschte Braut werben und um ihre Hand anhalten, und vor aller Augen bekommt er auch seinen Korb und muß wieder abziehen: Die beiden jungen Leute haben sonst keinen Platz, sich zu bereden. Die Abtreibungen finden zu Hause statt. Wer grade obdachlos ist, der schläft halt auf einer Bank in einer fremden Stube. Das Geld reicht nicht, um in die Kneipe zu gehen, also sitzt man in den Küchen beieinander. Denn gesellig sind diese Menschen, und sie reden miteinander - wenn auch unbeholfen, denn das Reden haben sie im Gegensatz zum Schuften nicht gelernt. Sie machen aus ihren Herzen keine Mördergruben, sie kritisieren sich, sie diskutieren über ihre Situation. Die Männer werden teilweise politisch aktiv: Bei den Sozialisten, den Kommunisten, im Zentrum. Sie kennen aber eben auch nur ihr enges Leben, eben das unter Tage. Da kennen sie sich aus, da wissen sie, was man zu tun hat, da sind sie stark und haben einen Wert. Mit ihrer Arbeit verlieren sie ihr Selbstwertgefühl, das Gefühl ihrer Stärke; sie werden hilflos und orientierungslos. In "Die Rettung" wird das private Leben und das intime Seelenleben beschrieben, das bei vielen der Figuren fatal verläuft. Im Hintergrund dieser individuellen, aber viele betreffenden Fatalität, im Hintergrund der Erzählung gewinnt der Nazionalsozialismus an Stärke. Der Roman spielt nicht auf der öffentlichen politischen Bühne, sondern im privaten Leben, auf der Straße, in den Stuben, in den Köpfen und Herzen der Figuren.
     
    Zuletzt bearbeitet: 5. Juli 2009

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