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@noah666: Gotik

Dieses Thema im Forum "Small Talk" wurde erstellt von Singer, 21. August 2002.

  1. Singer

    Singer Active Member

    Hi, noah666, ich bin wieder nüchtern - frisch ans Werk.

    Zeitlich bewegen wir uns mit der Errichtung von Straßburger Münster und Kölner Dom in der musikalischen Epoche der Notre-Dame-Schule, der ars antiqua und der ars nova. Die musikalischen Entwicklungen fanden vor allem in Frankreich und in England statt.

    Die Notre-Dame-Schule hat ihren Namen von der Kathedrale in Paris.

    Die Musik in den Kirchen damals war - nach allem, was wir wissen - hauptsächlich vokal, vielleicht sogar ausschließlich vokal. Entsprechend sind die Einspielungen auf CD, die es von dieser Literatur gibt, vornehmlich a capella, will sagen, ohne Instrumente.

    Die Komponisten der Notre-Dame-Schule heißen Leonin oder Leoninus oder Magister Leoninus und Perotin/Perotinus/Magister Perotinus. Perotin ist eine Generation jünger als Leonin. Die Musik, die die beiden geschrieben haben, ist recht gewöhnungsbedürftig. Es sind die ersten mehrstimmigen Kompositionen in Europa. Aufnahmen dieser sog. Organa (Plural von Organum) gibt es z.B. vom "Ensemble Gilles Binchois" beim Label "Virgin Veritas" und vom "Ensemble Organum" beim Label "Harmonia Mundi France".

    Von ca. der Mitte des 13. Jh. bis ca 1320 reicht die ars antiqua; Jacobus von Lüttich und Petrus de Croce seien als Komponisten genannt. CD-Aufnahmen fallen mir da spontan nicht ein.

    Die ars nova - ab ca. 1320 - ist verknüpft mit den Komponisten Guillaume de Machaut und Philippe de Vitry; letzterer hatte einen Tractat zur Musik verfaßt und diesen "ars nova" betitelt, daher der Name. Machaut war vor allem an der Kathedrale in Reims tätig. Von ihm stammt die eine der frühesten zusammenhängenden Messe-Kompositionen, die "Messe de Notre Dame". Von dieser gibt es mehrere Aufnahmen; ich empfehle die bei dem Label "Hyperion" erschienene Einspielung des - natürlich - "Hilliard Ensembles".

    Du schreibst, Du suchst etwas großes - machen wir uns nichts vor: so richtig groß ist diese Musik nicht.. ;-) aber zeitgemäß. Andererseits stehen diese von Dir genannten Bauten ja auch schon seit etlichen Jahrhunderten da herum und haben viel mitgemacht - da kann man ja mal schauen, was es an großer, geistlicher Musik noch so gibt:

    Der große Guillaume Dufay (gesprochen Düfaï) hat anläßlich der Einweihung des Domes in Florenz eine Motette geschrieben, "Nuper rosarum flores". Einspielungen der Musik von Dufay gibt es viele, z.B. gut und günstig von der "Oxford Camerata" bei dem Label "Naxos". Allerdings sind wir da - wie gesagt - schon in den Anfängen der Rennaissance.

    Die Klangentfaltung der a-capella-Musik kam in der Renaissance (Dufay und später) allmählich auf Touren. Der Engländer Thomas Tallis z.B. - CD-Tip ist vom Ensemble "The Sixteen" die Platte "Sacred Choral Works" beim Label "Chandos". Da sind wir im 16. Jh. Etwas älter ist das erste durchkomponierte Requiem; es stammt von Johannes Ockeghem und ist wirklich sehr düster... ich rate davon ab, irgendetwas mit diesem Werk zu untermalen/zu präsentieren. ;-)

    Am prachtvollsten kommen frühbarocke Vespern daher; da hat´s Zinken und Posaunen und Geigen, häufig gleich mehrere Chöre usw. Reinhören in die "Marienvesper" bzw. "Vespro della beata vergine" oder auch "Veperae beatae Mariae viginis" von Claudio Monteverdi, z.B. in den Einspielungen der Dirigenten Jordi Savall oder Phlippe Herreweghe.

    Die klassische Musik lasse ich jetzt mal außen vor; die ist einfach für andere Räume komponiert worden. Aber in der Romantik könnte man noch fündig werden:
    Anton Bruckner, z.B. die Motette "Locus iste" oder die "Messe e-moll" für Chor und Blechbläserensemble (!), Aufnahmen mit der "Capella Vocale Ghent" unter Philippe Herreweghe.
    Orgelmusik von Max Reger.

    Zu guter letzt:

    Alle Fliegen mit einer Klappe schlägst Du mit J.S. Bachs sog. "h-moll-Messe". Bach entfaltet darin einen Katalog der bis dahin (Mitte 18. Jh.) komponierten Stile: Kyrie 1 und Kyrie 2 kommen sehr archaisch daher, im Gloria kesselt es, was die Trompeten hergeben, und das "Osanna" ist ein muterer Dreiertakt von überschwänglicher Fröhlichkeit. Aber: Ich kenne ja Deine Zielgruppe nicht. Wenn die erkennt, daß Du ausschließlich h-moll-Messe auflegst, dann langweilen die sich vielleicht, und das fällt dann auf Dich zurück.
    Aufnahmeempfehlung: "Orchester des 18. Jahrhunderts" unter Frans Brüggen bei Philips. Die heißt dann "Mass in B minor".

    Das alles ist natürlich unzulässig vereinfacht dargestellt, naja.

    Rückfragen gerne!!! Das ist mein Steckenpferd.

    Gruß

    Singer
     
  2. noah666

    noah666 New Member

    Wow, ich bin geplättet.... Auf jeden Fall mal danke für die Info. Ich werde mir die genannten Stücke mal zu Gemüte führen.

    mfg Noah
     
  3. 2112

    2112 Raucher

    Oho, Ich merke schon Blues Fan sein ist sehr einseitig. :)
     
  4. >>"Messe de Notre Dame". Von dieser gibt es mehrere Aufnahmen; ich empfehle die bei dem Label "Hyperion" erschienene Einspielung des - natürlich - "Hilliard Ensembles".<<

    Hey, das ist doch mal ein Tipp - nach einer guten Interpretation davon suche ich schon länger. Danke.

    Was den rest betrifft: Wow!
     
  5. Florian

    Florian New Member

    Donnerwetter! Eine Abhandlung, die sich gewaschen hat!

    Hut ab,
    Florian
     
  6. Haegar

    Haegar Active Member

    "mit der Errichtung von Straßburger Münster und Kölner Dom"

    Vorsicht! Der Kölner Dom wurde erst im 19. Jahundert beendet, 1880 wurde die Türme fertiggestellt. Bis 1865 war der Dom nur ein Torso, Chor und Teile des Mittelschiffes wurden im Mittelalter noch beendet, dann ruhte der Bau über Jahunderte...

    http://www.koelnerdom.de/

    Der einzige große Dom-Bau in Deutschland, der auch in der gotischen Epoche beendet wurde, ist das Freiburger Münster. Angefangen ca. 1200, beendet 1304, in der Spätgotik.

    http://www.schwarzwald.net/orte/freiburg_muenster.html

    ;-)
    Gruss Haegar
     
  7. grufti

    grufti New Member

    Singer,
    wenn du nicht ganz so nüchtern bist, sind deine Abhandlungen aber weitaus geraffter.
    Aber auch nicht ganz so Klasse, wie das hier.
    Hochachtung. Toll.
    Grufti
     
  8. Singer

    Singer Active Member

    ...nicht ganz so nüchtern...

    Ich würde mal sagen: Alles zu seiner Zeit.

    :)))
     
  9. macixus

    macixus Hofrat & Traktorist

    >Das alles ist natürlich unzulässig vereinfacht dargestellt, naja.<

    Naja schon. Aber du hast dir wenigstens Mühe gegeben, die Fliegen mit Bach zu erschlagen! Da solltest du nicht allzu bescheiden sein.

    Ich habe da noch eine Rückfrage: soweit ich das jetzt verstanden habe, meinst du, das "Helmut Lotti singt Elvis Hits" zwar große Musik, aber nicht geistlich genug ist, oder?

    *jetztabernichtswiewegsonstkommterausderdusche*
     
  10. Singer

    Singer Active Member

    Wer ist denn Elvis Hits?

    *wuhararharharghauhahaa*
     
  11. macixus

    macixus Hofrat & Traktorist

    Kennst du nicht? Roy Blacks Cousin, aber mütterlicherseits.

    (du magst dich ja bei kathedraler Musik ein wenig auskennen, aber der Rest...:)

    Ich weiß nicht, ob ich mit dem "singer = Kulturträger des Forums" nicht ein wenig vorschnell war...

    P.S. Ehrfürchtigstes Chapeau für deine Ausführungen!
     
  12. Rotweinfreund

    Rotweinfreund + Jevers Liebhaber

    Gut! Sehr gut gerafft das ganze!
    Schade, daß es vor vielen, vielen Jahren noch kein Mac, kein Computer und noch keinen Singer gab. Hätte mir viel Zeit bei der Vorbereitung der MuGe-Klausur erspart! ;-)))
     
  13. macmiguel

    macmiguel New Member

    @singer
    erste Sahne!
    Im Forum scheint jede ausgefallene Leidenschaft vertreten.
    Gruß
    macmiguel
     
  14. macixus

    macixus Hofrat & Traktorist

    MuGe-Klausur?!?
    Ich dachte, für Mucke rippen reicht ne Dose un n' Modemdings...
     
  15. Rotweinfreund

    Rotweinfreund + Jevers Liebhaber

    MuGe = Musikgeschichte
    Ist "Mucke rippen" das Brennen von Audio-CDs?
    Wenn Musikanten "Mucke" sagen, meinen sie einen Gig oder Aushilfe, auf jeden Fall eine musikalische Darbietung.
    Leider ist den wenigsten der Ursprung dieses Begriffes unbekannt und deshalb wird er (nur von wenigen Wissenden) richtig geschrieben: MuGge, kurz Mugge.
    MUsikalischesGelegenheitsgeschäft.
    Schon gewußt? ;-))
     
  16. Singer

    Singer Active Member

  17. macixus

    macixus Hofrat & Traktorist

    MuGe habe ich schon als Musikgeschichte gelesen...;-)

    Mucke rippen ist den Youngsters um meinen Sohn nachgeplappert und ist wiederum von dir richtig gedeutet.

    Mucke heißt bei den Jungs aber lediglich "Musik" in allen Erscheinungsformen, mit Ausnahme Klassik, Pop, deutsches Liedgut und Schlager. Sowas heißt bei ihnen einfach nur "Müll" oder "Kacke" oder verursacht ein sanftes mitleidvolles Augenrollen... ;-)
     
  18. Rotweinfreund

    Rotweinfreund + Jevers Liebhaber

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